Hexenleben
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„Hello again“ oder „Krebs kommt durchaus in den Topf“

15 Monate war es still auf meinem Blog. Der Grund ist nicht erfreulich. Kochen, Backen und Geniessen traten im November 2016 in den Hintergrund. Unangenehme Entdeckungen zu machen, stand nicht auf meiner To-do-Liste und ein neues Sternzeichen wollte ich auch nicht…

„Sie haben da was, das gefällt mir nicht“, meinte die Ärztin. Es war am Tag, als die Narren sich wieder offiziell auf die fünfte Jahreszeit freuen dürfen. In Solothurn tagte seit 11.11 Uhr die Vereinigte Fasnachtsversammlung UNO und ich Narr hatte erwartet, dass die Beschwerden einfach harmlos oder ein Zeichen des Alters sind. Und dass das Leben rasch weitergeht, wie ich es geplant oder erhofft hatte. Tja…

Leben ist das was geschieht, während man es plant

Dann ging alles ziemlich schnell und kurze Zeit später musste ich Mann, Katz‘ und Küche sich selber überlassen und ein Spitalzimmer zu meiner neuen Adresse erklären. Nach einer 14-stündigen Operation wurde aus der geplanten Woche deren drei und plötzlich fand ich mich in einer REHA-Klinik wieder. Ich musste raschmöglichst fit werden – für eine Chemotherapie. Dann, ein Notfall, zurück im Spitalzimmer und ich fühlte mich mich da schon fast wieder zuhause. Die Feiertage im Spital sind zwar kulinarisch etwas interessanter als üblich, aber nicht unbedingt schöner. Diese Erfahrung ist nicht wünschenswert, aber gar nicht mal so schlecht.

Ach ja, ich hatte meinen Laptop dabei – nur dabei, mehr nicht. Ich, der Bücherwurm, mochte lange weder lesen, geschweige denn schreiben oder gar am Bildschirm arbeiten. Das Denken und Sprechen viel schwer. Musik hören und ab und zu mal fernsehen  gingen gerade noch. Ich wusste gar nicht, wie anstrengend Fernsehen sein kann. Es gab anderes, das plötzlich wichtig geworden war: Die Diagnose fuhr in die Glieder, setzte sich als grosser Schrecken fest. Da zerbrachen einige Vorstellungen und Pläne, Wünsche zerplatzten mit lautem Knall und der Schrecken blieb in den Gliedern und im Herzen, besonders jedoch im Kopf.

Was geschieht mit meinen Büchern?

Vorher

Für Aussenstehende, und das war jeder ausser mir, waren meine Gedankengänge und neuen Prioritäten nicht immer nachvollziehbar. „Was geschieht mit meinen 3000 Kochbüchern?“, „Macht  man auch ohne Vermögen ein Testament?“, „Wird der Göttergatte jemanden finden, der ihn gerne kulinarisch verwöhnt?“, „Jetzt werde ich nie die Chance haben, mein Patenkind bei seiner Hochzeit zu erleben.“, „Wie werde ich mit einer Glatze aussehen und werden meine Haare jemals wieder wachsen?“, „Gewöhnen sich meine Katzen daran, dass ich weg bin und sehe ich auf der anderen Seite des Kochherdes meine verstorbenen Katzen und meine geliebte Grossmutter wieder?“, „….????“ – Selbstmitleid und -zweifel, Fragen, Grübeln, Mut, Angst und Verzweiflung, schlaflose Nächte und – STOPP!

Lachen, Lächeln, sich an Erfolgen und Genesungen anderer freuen und in kleinen Schritten selber mutig weitergehen – in wirklich kleinen Schritten, maximal Brunoise-Grösse. Jeweils mit einem Gläschen Aroniasaft feierte ich jeden noch so kleinen persönlichen REHA-Erfolg. Ich hatte – und habe bis jetzt – grossartige Menschen um mich: Könner, Kenner, Fachleute,  Berater, Unterstützer, Freunde, Bekannte und Unbekannte. Dafür bin ich unendlich dankbar. Und so ging es dann, mitten im Winter, mutig in die Chemotherapie.

Chemostübli, Glatze und null Geschmack

Mag es für einige Mitmenschen auch eine Herausforderung sein – mir half es, über den Krebs zu reden, besser noch, zu schreiben. So entstanden die „News aus dem Chemostübli“ – Facebook-Freunde konnten sich sozusagen auf dem Laufenden halten, bekamen Frust und Freud‘, Leid, Fort- und Rückschritt‘ mit. Ich fühlte mich nie alleine. Nie. Von völlig unerwarteter Seite kamen dann manchmal beeindruckende Reaktionen: „Ich lese mit, aber gell, ich schreibe nichts dazu. Ist das OK?“ „Ich habe meine Mutter an den Krebs verloren – deshalb lese ich mit.“ „Ich getraue mich nicht, Dich darauf anzusprechen, aber wenn ich mitlesen darf, dann fühle ich mich Dir nah.“ etc.etc.etc. Allesamt beeindruckend und ich bin sehr dankbar für jedes einzelne Wort, jede Geste, jede Zeile, auch für das Schweigen und Verstehen. Dankbarkeit hilft tatsächlich.

Langsam fühlten sich meine Haare an wie das Fell von Nachbars Struppi. Mutig ging es zum ersten Rückschnitt – ich hatte das Gefühl, mir schneidet jemand meine Seele aus dem Leib. Dann bekam ich immer schneller immer grössere Geheimratsecken und morgens lagen immer mehr Haare auf dem Kissen. Die Mähne war schon lange keine mehr. Elend, nur Elend.
    

Der Tag der Befreiung war ein Donnerstag, ich liess mir einen 1 mm-Schnitt verpassen und fühlte mich danach grenzenlos stark und lebendig. Und das war das letzte Mal, dass ich das Wort „Kampf“ hören konnte und wollte.
Wer kämpft ermattet, ermüdet, ist irgendwann mal erschöpft. Ich nicht, ich akzeptierte und es ging mir besser. Den Krebs als Teil der eigenen Geschichte, des Lebens anschauen, half mir und hilft mir noch. Neun Monate nach Ende der Chemotherapie weiss ich, dass das für mich der einzig richtige Weg ist – für mich, wohlgemerkt. Und ich weiss auch, dass jeder Mensch, der an Krebs erkrankt, seinen eigenen Weg finden muss, darf und vielleicht kann. Raten kann man keinem, denn jeder Fall ist eigen und ganz anders als die anderen. Fall, nein, Mensch!

Erst mal ging es runter: La grande fatigue – Null Geschmack – wie ätzend ist das denn? Cortison lässt einen an Gewicht zulegen, dafür hat man angeblich weniger Nebenwirkungen. Übrigens, übel war mir kaum, jedoch spielte der Geruchssinn verrückt: Von „Hä, die Blumen duften doch sonst?“ bis „Buuh, weshalb riecht das Wasser so?“ lag alles drin. Die Haut verändert sich und es kam zu Gefühlsstörungen, zu Restless Legs und Störungen beim Gehen und Greifen. Die gingen so weit, dass die Neurologin irgendwann mal dringend zum Abbruch der Chemotherapie riet. Glück im Unglück, wir waren schon fast am Schluss der Behandlungen. Drei Wochen später verlor ich sämtliche Wimpern und die Augenbrauen…

Und die Küche?

Die blieb eher kalt oder lieblos – auch wenn ich mir so viel vorgenommen hatte. Weder Lust noch Kraft, sich dem Einmachen zu widmen, das Projekt Moorgarten wurde bis auf weiteres stillgelegt. Die grosse, bleierne Müdigkeit ist omnipräsent.  Der Blog – nein Danke, ich wusste ja nicht mal, ob das Essen dem Göttergatten schmeckt. Mal schmeckte ich nur scharf, dann nichts, dann Karton, Pelargonien, bitter, Seife, bäääh. Nur langsam fand sich der Geschmack wieder und so war dann ein Ausflug an das Kulinarik-Festival im Bayrischen Wald nicht nur die erste Reise, sondern auch das erste Mal „Fremdessen“. Nicht alles konnte ich gut zuordnen und da waren definitiv nicht nur die Köche schuld. Aber die Erkenntnis war da: Es geht wieder aufwärts! Auch die Haare fingen wieder an zu spriessen.

Arbeiten half und hilft, trotz Müdigkeit und Konzentrationsschwäche. Ich schöpfte Energie, manchmal gerade genug, um sie wieder zu verlieren. Denn manchmal war und ist die Euphorie gross und ich muss lernen, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Erschöpfungsähnliche Zustände waren an der Tagesordnung und überfallen mich noch noch heute ab und zu und urplötzlich. Finger- und Zehennägel sind noch immer nicht anzuschauen. Oft habe ich den Eindruck, dass die Zeit nach der Chemo, also jetzt und noch andauernd, schlimmer ist als während der Chemo. Nicht immer, wenn man gut aussieht, geht es einen auch gut. Manchmal erscheine ich mir blitzgescheit und schnelldenkend und dann wieder ringe ich nach Worten:  Lähmende Gedankenstillstände – – – – – – – – – – – – Genau so!

Es ist an der Zeit, ich will das Leben zurückerobern!

Was ich hiermit tue. Mit einem Lächeln und einer Spur Zuversicht. Der Weg ist noch sehr lang, steil und steinig. Aber mit Freunden an der Seite geht bekanntlich vieles viel besser und manchmal auch leichter. Ich habe viel Glück gehabt und diese Erkenntnis ist Glück. Ich habe mich verändert und verändere mich weiter. Aber auch die Menschen um mich herum haben sich verändert.
Es ist gut so und es ist, wie es ist.
So sage ich mit einem freudigen Lächeln im Gesicht:

„Hello again – ich möchte Euch wiederseh’n!“
Und jetzt, ab in die Küche!


PS. Was der Titel soll?
Krebse in allen Variationen ess‘ ich gerne und möchte schon lange mal welche in meiner Küche verarbeiten. Ich werde deshalb bestimmt mal etwas verbloggen – to be continued…

 

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